Künstler, Gräber und Geschichten    

Von Jeanne Mammen bis Marlene Dietrich: 

ein Buch über den Künstlerfriedhof Friedenau

Von Christoph Stollowsky

 

Kurt Tucholsky war begeistert. „Ihre Figuren springen mit Haut und Haaren aus dem Papier“, lobte er 1929 in der Zeitschrift „Weltbühne“ die Malerin Jeanne Mammen. Sie war damals 39 Jahre alt, stellte mit Charme das Berliner Großstadtleben dar, beobachtete die Dirnen und kleinen Leute ebenso scharf wie die Großen ihrer Zeit.

Nach dem Krieg porträtierte sie 1948 Marlene Dietrich.

 

Eine viel beachtete Federzeichnung entstand, die Diva seelig entrückt mit geschlossenen Augen. Jeanne Mammen starb 1976 im Alter von 86 Jahren, Marlene schloss 1992 mit 91 Jahren für immer die Augen. Beide Frauen fanden auf dem Künstlerfriedhof Friedenau ihre letzte Ruhe. 

Zu Marlenes Ehrengrab auf der traditionsreichen Begräbnisstätte an der Stubenrauchstraße im Schöneberger Ortsteil Friedenau pilgern täglich Verehrer. „Hier steh ich an den Marken meiner Tage“, lautet die Inschrift auf dem schlichten Stein.

Meist schauen die Besucher auch bei Helmut Newton vorbei, dem weltbekannten, 2004 in Friedenau beerdigten Modefotografen. Er liegt in Marlenes Nähe. Und es lohnt sich, bei einem solchen, zum November passenden Ausflug in ein neu erschienenes Buch zu schauen: „Der Künstlerfriedhof in Friedenau“ von Helmuth Pohren-Hartmann und Hermann Ebling. 

 

Mit fundierter Kenntnis erzählen die Autoren in kurzen Texten die Lebensgeschichten prominenter, aber auch weniger bekannter Persönlichkeiten, vor deren Gräbern man auf ihr Leben zurückblicken kann: Vor allem Künstler, aber auch Wissenschaftler und verdiente Friedenauer. „Von wegen letzte Ruhe!“, könnte das Motto dieses Spazierganges lauten. 

Denn in vielen Biografien wird die Erinnerung an die Toten lebendig gehalten. 

 

Die „Edition Friedenauer Brücke“ hat den Band mit vielen Fotos und Liebe zum Detail gestaltet. 

Auch die Geschichte des denkmalgeschützten Friedhofes wird erzählt, kunsthistorisch wertvolle Grabmale werden vorgestellt.

Etliche entstanden in Künstlerateliers wie der „Genius“.

Die Statue von Georg Kolbe krönt Ferruccio Busonis Grab. Der Komponist und Pianist arbeitete seit 1894 eng mit den Berliner Philharmonikern zusammen.

 

„Künstlerfriedhof“ heißt die 1881 angelegte Gräberstätte, weil das damalige Friedenau mit seinen Stadtvillen Künstler, Literaten und die Boheme anzog. Auch durch die Nähe zur „Wilmersdorfer Künstlerkolonie“ wurden hier viele Kunstschaffende beigesetzt: Paul Zech, Übersetzer von François Villons Balladen oder die 1989 verstorbene, in der Friedensbewegung engagierte Schriftstellerin Dinah Nelken. Auch Margot Apostol liegt an der Stubenrauchstraße. Sie schrieb Gedichte in Berliner Mundart und liebte ihre Stadt so wie die Malerin Jeanne Mammen. 

2001 starb sie. Eines ihrer Bücher heißt: 

„Den Berlinern ins Herz geschaut“.

 

Helmuth Pohren-Hartmann, Hermann Ebling: Der Künstlerfriedhof in Friedenau. 

Edition Friedenauer Brücke, Berlin. 136 Seiten, 200 Abbildungen, 25 Euro.

 

Aus: Der Tagesspiegel, Berlin extra (8. November 2006)


 

Der Künstlerfriedhof in Friedenau

Edition Friedenauer Brücke, Berlin 2006, 136 pp.

 

Der Künstlerfriedhof in Friedenau is the quiet cemetery where Marlene and her mother rest in peace.

Many other artists are buried there and this little, beautifully illustrated book gives their names and a

short biography to each and everyone of them.

For Marlene you’ll also find the full text of the lyrics from which the excerpt

“Hier steh ich an den Marken meiner Tage” is written on the tomb as well as the explanation

why this is such a modest grave – according to Marlene’s last will it should look like a soldier’s grave. 

We think that in two years time this will be a hard-to-find book. 

In 10 years you may have to pay a lot to get it. Better get it now – you won’t regret it.

 

Newsletter der Marlene Dietrich Collection, November 2006


Leben und Sterben in Friedenau

 

Die edition Friedenauer Brücke hat mit dem Buch „Der Künstlerfriedhof“ eine Geschichte Friedenaus und seiner frühen Bewohner herausgebracht. Über die Aufzählung der vielen Künstler, Literaten, Wissenschaftler, Kommunalpolitiker, Geschäftsleute und anderer Persönlichkeiten und ihrer Grabstätten hinaus erzählen die Autoren vom Leben in Friedenau von seiner Gründung im späten 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. 

Wir erfahren, wer die Gestaltung der ehemaligen Villenkolonie vor den Toren Berlins maßgeblich geplant und beeinflußt hat, wer hier wie gebaut, künstlerisch und wissenschaftlich gearbeitet hat, wer mit seinem Wirken den Ruf Friedenaus als kreative Wohnidylle begründete und hier seine letzte Ruhestätte fand.

 

In drei Kapiteln wird über die Entstehung und Entwicklung sowohl Friedenaus als auch seines Friedhofs berichtet, über den Friedhof aus architekturhistorischer Sicht, und im umfangreichsten Teil werden die hier ruhenden Persönlichkeiten und ihre Grabstätten in alphabetischer Reihenfolge vorgestellt. Dabei erfahren die Leser nicht nur Geburts- und Sterbedaten, sondern auch Lebens- und Zeitgeschichten, Schicksale und Familienverflechtungen und ihre Bedeutung für unseren Stadtteil. Die meisten Berichte sind mit Fotos oder Zeichnungen illustriert und vermitteln so ein lebendiges Bild der ersten Friedenauer und der Zeit, in der sie lebten. Selbst Kenner des Friedhofs werden erstaunt sein, wen wir alles auf unserem Friedhof beherbergen und dass er seinen Beinamen „Künstlerfriedhof“ nicht allein Marlene Dietrich und Helmut Newton verdankt. 

 

Die architekturhistorische Betrachtung widmet sich dem Friedhof als Bau- und Gartendenkmal, der Urnenhalle - dem sog. Columbarium - , den großen Wandgräbern, ihren Schöpfern und ihrer städtebaulichen und künstlerischen Bedeutung. So finden sich unter den Schöpfern der zahlreichen Grabdenkmäler namhafte Berliner Bildhauer wie Georg Kolbe, Bertel Thorvaldsen, Valentino Casal und Hans Dammann, und ein Spaziergang über den Friedhof kann zu einem Kunsterlebnis werden.

 

Es ist ein geschmackvolles, handliches Buch entstanden, sorgfältig recherchiert und mit reichhaltigem Bildmaterial versehen. Stadtpläne des alten und neuen Friedenau laden zum Vergleich ein, und authentische Texte aus der Gründerzeit des Stadtteils berichten aus dem frühen Friedenauer Leben. Ein ausführliches Literatur- und Quellenverzeichnis und ein Verzeichnis der Abbildungen im Anhang bewahren den Text vor störenden Fußnoten. Ein Friedhofsplan und eine praktische Liste mit Verkehrsverbindungen, Öffnungszeiten und Verwaltungsadressen erleichtern Interessierten den Weg nach Friedenau und zu seinem Künstlerfriedhof. 

Ein spannendes und eindrucksvolles Leseerlebnis!

 

Sigrid Wiegand, Stadtteilzeitung, Dezember 2006/Januar 2007

 


 

 

 

 

 

 

„Kleine Fluchten“

 

Der Atchafalaya ist ausserhalb von Louisiana vermutlich so bekannt wie der Künstlerfriedhof Friedenau außerhalb von Berlin.

Aber das ändert sich ja jetzt mit diesem Berlin-Magazin.

Friedenau ist eigentlich ein ziemlich bürgerlicher und entspannter Stadtteil der Hauptstadt, 

nicht groß aufregend, nicht besonders „hip“. Allerdings befindet sich in Friedenau ein Friedhof, 

der einige sehr berühmte und einige sehr kunstvolle Gräber und auch Grabmale enthält.

Anita Fünffinger ist auf dem Künstlerfriedhof spazieren gegangen, dort wo einige Zeit ihres 

Lebens ziemlich rastlose Berliner schließlich doch noch ihre letzte Ruhe gefunden haben.

 

Hermann Ebling: Der Künstlerfriedhof ist nicht nur der Künstlerfriedhof, weil hier sehr viele Künstler und Lebenskünstler begraben sind, sondern auch deswegen, weil viele Grabmale und Denkmäler von sehr namhaften Künstlern wie beispielsweise Heinrich Mißfeld, Valentino Casal oder auch Georg Kolbe gefertigt wurden.

 

Hermann Ebling und seine Frau Evelyn Weissberg kennen sich aus auf „ihrem“ Friedhof. 

Jahrelang haben sie den Stadtteil Friedenau südlich von Schöneberg studiert, wollten nicht nur etwas mehr über die Stars dieses Friedhofs wie Marlene Dietrich oder Helmut Newton erfahren, sondern auch über die, die unbekannter blieben oder die man vielleicht schon vergessen hat. 

Ihre mühevollen Recherchen mündeten in dem Buch „Der Künstlerfriedhof in Friedenau“.

 

Evelyn Weissberg: Ja, es sind nicht alle so weltberühmte, aber doch in ihrer Zeit bekannte Menschen gewesen, und das muß man eben „ausgraben“, makaber gesagt....

 

Die Blätter der Bäume sind gelb geworden, viele sind schon gefallen. Eine warme Septembersonne wärmt die Luft, ideal für einen Spaziergang.

Dass hier eben nicht nur Weltberühmte liegen, passt zum Stadtteil Friedenau. Der Ortsteil, von dem NICHT-Berliner vielleicht noch nie gehört haben, hat mit der Jahrhundertwende zahlreiche Künstler angezogen. Nicht mitten in der City, aber alles leicht zu erreichen, ruhig, aber doch zentral. Schriftsteller, Musiker, Bildende Künstler siedelten sich an, und das Handwerk reagierte darauf. Wie die Bildgießerei Noack, die selbstverständlich auch im Friedhof eine Gruft hat. 

 

H.E.: Die Bildgießerei Noack war schon in den 20er Jahren beinahe eine Zufluchtstätte für bildende Künstler, die ihre Werke dementsprechend präsentiert haben wollten. Dazu gehörten Georg Kolbe oder Käthe Kollwitz, später nach dem Krieg waren es Bernhard Heiliger und Henry Moore, die hier arbeiten ließen, Anselm Kiefer und Joseph Beuys gehörten später auch zu den Kunden der Bildgießerei.

 

Noack bekam durch die Künstler einen guten Ruf. Wesentliche Symbole der Stadt Berlin werden mittlerweile in die Obhut dieser Bildgießerei gegeben. Die Silbernen und Goldenen Bären der Berlinale, die Vergoldung der Siegessäule, die Quadriga auf dem Brandenburger Tor, restauriert 

in den Händen von Noack Mitarbeitern. 

 

Vorbei am Familiengrab der Roennebergs, er war Ortsvorsteher von Friedenau, die Schwestern gründeten eine Mädchenschule, was um 1900 herum nicht unbedingt üblich war, vorbei an Oskar Pastior, dem Schriftsteller aus Hermannstadt in Rumänien, geflüchtet 1968 in den Westen. 

Er ist einer der jüngsten Berühmten hier, gestorben 2006. 

Und weiter vorbei an einem Grab ohne Namen. Es ist ein großer Stein, vier weiße Säulen sind darin eingearbeitet, es sollen Platzhalter sein. Für vier Menschen, die durchaus noch sehr am Leben sind. 

 

E.W.: …das ist eine Alten-WG, die wohl sehr „Wein, Weib und Gesang“ frönt, und die haben sich hier ihr Grab schon eingerichtet. Mit einer nackten Dame mit Weinglas, und einem Skelett, was 

´ne Kippe zwischen den Zähnen hat, also, die sind sich der Gefährlichkeit ihrer Tätigkeiten bewußt, aber sie leben anscheinend alle noch, denn das gibt es ja schon eine Zeit lang, und es ist noch keiner gestorben ....    

 

Menschen, die noch nicht gestorben sind, wollen unbedingt hier liegen. Die Alten-WG hätte es verdient, im Gegensatz zu dem Herrn ein paar Meter weiter, findet zumindest Evelyn Weissberg:

 

Es sind auch manche Leute animiert, ihre „Künstler“-Verwandschaft, die schon gestorben ist, umzubetten, und ihnen hier einen „angemessenen“ Grabplatz zu ermöglichen, wobei, wiegesagt, dieser Künstler hier mit Friedenau im weitesten Sinne gar nichts zu tun hat ... Aber er soll hier nun liegen, so kann man es nennen ....

 

Und sein Platz ist gesichert. Das Grab wird wohl noch Jahrzehnte bestehen, so wie die Ehrengräber auch. Eines gehört zu Helmut Neustädter, der nur wenige Hundert Meter vom Friedhof entfernt 1920 geboren wird. 1938 verlässt der Jude mit zwei Kameras im Gepäck das faschistische Berlin. 

Zurück kommt 2004 die Urne mit den Überresten von: Helmut Newton. 

Kurz zuvor hatte er noch mit dem Regierenden Bürgermeister Wowereit das Grab von Marlene Dietrich besucht. 

 

H.E.: Also man munkelte damals, daß Helmut Newton zu dem Herrn Wowereit sagte: „hier würde ich doch auch mal gerne liegen“, und man munkelt auch weiter, daß Herr Wowereit irgendwie geäußert hätte: „na ja, das läßt sich doch machen..“ Es hat keiner gedacht, daß es so schnell passieren wird... Und jetzt liegt Helmut Newton alias Helmut Neustädter, geboren in Schöneberg, mit seiner Lieblingskamera, die mit ihm zusammen beerdigt wurde, hier.  

 

Helmut Newtons Grab ist nach Westen ausgerichtet. Die Abendsonne scheint darauf, genauso wie auf das der berühmtesten Berlinerin hier. Sechs frische Blumensträuße liegen auf dem Grab von Marlene Dietrich, eine Kerze brennt, ein Foto von ihr liegt darauf. Der Stein dagegen, ganz schlicht. Ein rechteckiger fast schwarzer Marmorstein, die Beschriftung bescheiden. 

Marlene steht drauf. 

 

E.W.: Das wollte sie so, sie wollte ein Soldatengrab, sie ist Preußin gewesen, zutiefst, und wollte eigentlich nur einen Efeuhügel haben, mit einem schlichten Stein – ich finde das paßt, wenn man sie studiert hat und über ihren Charakter Bescheid weiß, finde ich das sehr sehr passend...

Daß auch nur „Marlene“ da steht, gefällt mir gut...  

 

Bei weitem nicht ganz Berlin war begeistert, daß ausgerechnet sie hier die letzte Ruhe finden sollte. Die, die bei den amerikanischen Soldaten gesungen hatte...

  

E.W.: Ja, ich habe, als ich hier auf dem Friedhof für das Buch häufig war, viele ältere Damen erlebt, die sich in etwa so äußerten: Das gefällt uns gar nicht, daß die hier liegt, die hat Deutschland Schande gebracht, mit ihrem Verhalten...

H.E.: ...denn als Marlene 1945 nach Friedenau kam, um ihre Mutter in der Fregestraße zu besuchen, trug sie die amerikanische Uniform, und das konnten ihr die Berliner überhaupt nicht verzeihen... 

 

Trotzdem: bei der Beerdigung standen tausende Berliner am Wegesrand, wollten sehen, wenn die Diva heim kommt, nachhause, in die Nähe zu Ihrer Mutter, die nur wenige Meter weiter beerdigt ist. Als Berlinerin kehrte sie zurück, ohne Glamour, ganz bescheiden, reiht sich ein ins deutsche Volk, mit dem auch sie jahrzehntelang nicht klar kam und erst im Tod ihren Frieden fand.

 

H.E.: Das einzige, was bleibt, ist der Spruch: „Hier steh ich an den Marken meiner Tage“. 

Das ist von Theodor Körner, den Marlene sehr bewundert hat, ihm war die Freiheit das wichtigste Gut im Leben.

 

Berlin-Magazin „Kleine Fluchten“

Der Beitrag von Anita Fünffinger lief am 3. Oktober 2009 auf BAYERN 2

Bayerischer Rundfunk, ARD-Hauptstadtstudio


 

 Eisenbahnüberführung

(Friedenauer Brücke) 1914 

von Ernst Ludwig Kirchner

im Logo

  

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Evelyn Weissberg

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Stand: MÄRZ 2024